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Helvetica forever, Geschichte einer Schrift, Hg. Victor Malsy und Lars Müller, 21 x 28 cm, 130 Seiten, 150 Abbildungen, Hardcover, Euro 29,90

Das Buch punktet wie sein kleiner roter Buch-Bruder „Helvetica, Hommage to a Typeface“ aus dem gleichen Verlag zuallererst mit dem Umschlag. In grauem grobem Leinen gewandet, transportiert es elegant den Swiss Style, Vorsatz und Einstieg in Rot lassen keinen Zweifel mehr aufkommen: es geht um die legendäre Helvetica. Dass diese Schrift zum Zeitpunkt ihres Erscheinens als höchster Ausdruck moderner Gestaltung galt, lag daran, dass sie den Nerv des Zeitgeistes der späten 1950er Jahre punktgenau traf. Das wird in der Einleitung des Buches klar: Che Guevara, Mies van der Rohe, Elvis Presey oder Le Corbusier werden hier atmosphärisch vorgestellt, man taucht in eine vergangene Zeit unmittelbar und emotional ein. Mit diesem Zeitgefühl im Hintergrund wird man ausführlich mit der typografischen Vorgeschichte der Helvetica vertraut gemacht. Ihre Vorfahren Akzidenz Grotesk, Futura oder Gill, sowie die technischen Bedingungen der Schrift und Satzherstellung werden vorgestellt. Eduard Hoffmann, Direktor der Haas’schen Schriftgiesserei, war in den 50er Jahren durch die Omnipräsenz der Akzidenz-Gotesk und ihren Vertrieb durch die Berthold AG, Berthold und Stempel und die Didot AG stark unter Druck geraten. Obwohl die Anschaffung einer kompletten Bleisatzschriftfamilie für die Druckereien einer Investition in Höhe eines Kleinwagens entsprach, entschloss sich Hoffmann, eine neue, sachliche und universelle Schrift auf den Markt zu bringen. Spannend liest sich die frühe Korrespondenz mit Max Miedinger, der bereits eine Schrift für seine Schriftgießerei entworfen hatte. Miedinger orientierte sich in seinem Entwurfsprozess nicht an individuellen Grotesk-Typen wie etwa der Gill, sondern an neutralen Typen wie der Schelterschen Grotesk von 1890 oder der Normal Grotesk von 1943, die die Haas’sche Giesserei aufgelegt hatte. Der erste eineinhalbjährige Gestaltungsprozess 1957/57 liest sich spannend, das erste Ergebnis, die Neue Haas Grotesk wird ein grosser Erfolg. Im Wettlauf mit der wach gewordenen Konkurrenz starten Hoffmann und Miedinger umfangreiche Marketingmaßnahmen, bauen die Schrift systematisch aus und holen den Partner Linotype in das Projekt. Die Aufnahme in deren Schriftprogramm forderte einen neuen Namen, die Helvetica war geboren. Doch nicht nur die Ausweitung des Vertriebs war ein Erfolgsrezept. Miedinger gelang es, einflussreiche Gestalter, wie Joseph-Müller-Brockmann oder Hans Neuburg für die Helvetica zu gewinnen. Zwischen Emil Ruder, der die Univers öffentlichkeitswirksam bevorzugte, und seinen Promotoren entwickelte sich eine intensive Debatte in den grafischen und druckgrafischen Publikationen der Branche, die der Helvetica Anerkennung und Erfolg brachten.
Ein bibliophiler Ausnahmefund und historisch wichtiges Dokument zur Helvetica ist Joseph Hoffmanns Schreibheft mit den komplett eingeklebten Bürstenabzügen, Bemerkungen von sich und dritten. Diese als Faksimile abgedruckte 58-seitige Chronik (1956-1965) macht den Entstehungsprozess der Schrift so lebendig nachvollziehbar, als würde er aktuell stattfinden.
Ein systematischer und gründlicher Vergleich der Helvetica mit den wichtigsten Groteskschriften von Indra Kupferschmied
und eine Reihe von ausgewählten Helvetica-Anwendungen rundet das designgeschichtlich vorbildliche Buch aus der Hand der erfahrenen Buchgestalter und Designkuratoren Viktor Malsy und Lars Müller ab. Es zeigt auf, wie ein historisches Thema der jungen Disziplin Grafik Design gründlich und umfassend vermittelt werden kann.
(Erwin Bauer)

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