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Interview mit David Elliott, künstlerischer Leiter der 1. Kiew Biennale 2012 (24.5.-31.7.2012) von Sabine B. Vogel

SBV: Sie leiteten das Moderne Museet in Stockholm von 1996 bis 2001, danach das Mori Art Museum in Tokio und 2007 das Museum Istanbul Modern. Danach organisierten Sie die Istanbul und die Sydney Biennale, jetzt die Kiew Biennale – worin sehen Sie die Unterschiede zwischen diesen Orten?

David Elliott: Nun, Kiew ist in vielen Hinsichten näher zu Istanbul als zu Tokio ... aber alle drei Metropolen sind sehr verschieden. In Hinsicht auf die Biennale ist der größte Unterschied die Tatsache, dass diese Veranstaltung von dem Staat finanziert wird. In der Türkei sind alle kulturellen Initiativen privat getragen. In Japan gilt dies weniger, die Yokohama Triennale beispielsweise erhält das Budget durch die Japan Foundation, also indirekt von der Regierung.

SBV: Worin sehen Sie die zentralen Unterschiede zwischen der Arbeit in Museen und für Biennalen?

DE: Für Biennalen muss man viel härter arbeiten, hat viel strengere Stichtage und Fristen als im vergleichsweise geschützten Rahmen eines Museums. Außerdem ist eine gesicherte Finanzierung bei einem alle zwei Jahre stattfindenden Ereignis eine große Herausforderung. Es geht immer darum, die eigenen Ambitionen und das Budget zusammenzubringen. Anders als Museumsdirektoren ist ein Biennale-Leiter nicht direkt für das Budget verantwortlich, wodurch man oft ohne Kenntnis der wirklichen Zahlen verhandeln muss.

SBV: Sie hatten nicht einmal neun Monate Vorbereitungszeit für diese Biennale. Haben Sie währenddessen die regionale Kunstszene recherchieren können?

DE: Selbstverständlich, besonders in der Ukraine. Ich habe schon früher in der ehemaligen Sowjetunion gearbeitet, kenne die Kunst in Russland und Zentraleuropa, habe mich aber auch hier noch einmal auf den neuesten Stand gebracht.

SBV: Wie wichtig ist zeitgenössische Kunst in der Ukraine?

DE: Ich glaube, es ist ein sehr wichtiger Moment gerade. In der sowjetischen Zeit hatte Kunst die Aufgabe, die Gesellschaft zu instruieren und zu führen – sicherlich nicht in einer Weise, die mir angenehm wäre. Seit dem Ende der Sowjetunion hat sich alles verändert, auch die Inhalte, aber möglicherweise ist dieser Impuls rudimentär erhalten geblieben. Das kann man vor allem in der jungen, seit der Orangen Revolution entstandenen Künstlergeneration beobachten, die sozial extrem engagiert und gleichzeitig sehr kritisch sind. Sie empfinden sich als Teil der Gesellschaft und schauen sich die Mechanismen des sowjetischen Vermächtnisses und Attitüden an, die in der Gesellschaft noch immer sehr tief verankert sind. Hoffen wir, dass ihnen nicht die Kraft ausgeht.

SBV: Es gibt eine unzählbare, kontinuierlich wachsende Anzahl von Biennalen – benötigen wir ständig neue?

DE: In Ihrer Frage klingen Biennalen wie Pilze zwischen den Zehen! Grundsätzlich sind Biennalen wie jede andere Großveranstaltung: es gibt gute und schlechte. Um eine Autorität zu entwickeln, muss es in der Ausstellung „gute Kunst“ und eine Notwendigkeit für die Gesellschaft des Austragungsortes geben. Ich glaube, Kiew wird von dieser Biennale profitieren, von der Zusammenstellung von Kunst, die zuvor noch nicht zu sehen war ... eigentlich könnte das auch für London gelten ... und umgekehrt erhalten Künstler der Ukraine eine internationale Aufmerksamkeit.

SBV: Welches waren Ihre Hauptkriterien für die Auswahl?

DE: Das erste Kriterium ist die Qualität der Werke. An zweiter Stelle steht die Frage, wie die Arbeit in die generelle Idee der Ausstellung passt. Das Dritte ist die Bereitschaft der Künstler zur Teilnahme.

SBV: Ist der Titel „Rebirth and Apocalypse in contemporary art“ politisch oder philosophisch gemeint?

DE: Ich liebe lange Titel. Wenn Titel zu kurz sind, können die alles heißen. Richtig heißt es also „The Best of Times. The Worst of Times. Rebirth and Apocalypse in contemporary Art“. Der erste Teil stammt aus Charles Dickens Novelle „A tale of two cities“, die von der französischen Revolution handelt – ich wüsste nicht, wie man heute über Kultur schreiben kann ohne den Zusammenhang mit dem 18. Jahrhundert mit zu bedenken, die Zeit der Revolutionen, der Menschenrechte, des Kapitalismus und der Kolonisationen. Der zweite Teil des Titels spricht für sich selbst und kann politisch, philosophisch, religiös, genetisch oder wie auch immer verstanden werden.

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