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Ein Interview mit Helmut Leder, Professur für Allgemeine Psychologie an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien mit dem Forschungsschwerpunkt Ästhetische Wahrnehmung.

Ihr Spezialgebiet ist die Erforschung von ästhetischer Wahrnehmung – was genau ist darunter zu verstehen?

HL: Ich vermute, dass die ästhetische Wahrnehmung ein Modus ist, mit dem wir uns die Welt zueigen machen, der emotional ist und der einen sehr schnellen Zugang zum Wohlbefinden hat. Denn es erscheint durchaus sinnvoll, dass es einen rationalen Sinn dafür gibt, wie nützlich die Dinge sind, und einen Gegenspieler, der auf die Empfindungen zielt, auf das emotionale Erfassen. Und das Ästhetische ist darin ein ganz wesentlicher Teil. Es ist eine gute Ausstattung, die uns erlaubt, schnell zu erkennen, was gut ist - um uns dann an der Wahrnehmung zu weiden, wenn es schön und wohltuend ist. Kurz gesagt: Das, was schön ist, ist vermutlich auch gut. Dafür spricht zum Beispiel, dass uns oft gefällt, was uns vertraut ist; denn was uns vertraut ist, schadet vermutlich nicht.

Vertrautheit ist also eine zentrale Voraussetzung für das Empfinden von Schönheit?

HL: Ich möchte es etwas anders formulieren. Vertrautheit ist eine der Hauptzutaten von den Dingen, die wir schön finden. Das ist ganz plausibel, wenn man die Entwicklung des Menschen bedenkt. Die Welt, wie wir sie kennen, so urban, so artifiziell, ist ja aus Sicht der Evolution gesehen noch sehr jung. Die Welt, in die wir entwickelt worden sind, ist eine, in der das Unerwartete und das Neue oft mit Gefahren einhergingen. Und tief in uns geht ein Wohltuen auf, wenn wir mit Vertrautem und Bekannten konfrontiert sind – und das auch suchen. Das erklärt allerdings noch nicht, warum das schön ist.

Ästhetik ist nur ein Gefühl des Wohlfühlens?

HL: Immanuel Kant hat ja dem Schönheitssinn das „interesselose Wohlgefallen“ zugeordnet und damit jede Qualität als analytisches Erkenntnisinstrument abgesprochen, zwar als irgendwie emotional erkannt, aber negativ im Sinne von Gefühlsduselei eingestuft. Baumgarten war dann der erste, der gesehen hat, dass Ästhetik sinnliche Erkenntnis ist. Das heißt nichts anderes, als dass Sinneswahrnehmung einen wesentlichen Teil des gesamten Prozess´ ausmacht. Es macht wenig Sinn, ohne etwas wahrgenommen zu haben, logisch oder analytisch darüber nachzudenken.

Wann nehmen wir ästhetisch wahr – alles und immer?

HL: Das ist eine der großen Fragen, an denen wir im Moment forschen. Wir wissen von einer permanenten Verfügbarkeit – wir können unsere ästhetische Wahrnehmung auf alles richten: ist es schön oder nicht, gefällt es mir. Es ist ein Modus, der viele Freiheiten beinhaltet.

Gelten nicht in der Kunst, noch mehr im Design, Dinge erst dann als schön, wenn sie neu – und unvertraut – sind?

HL: Interessanterweise ist das nicht der Fall. Wir haben dazu viel geforscht: Im Design ist ein wesentlicher Antriebsfaktor Innovation – neue Erscheinungsformen. Aber erst nach einer gewissen Zeit des aktiven Auseinandersetzens gefallen die Objekte - je länger, je besser. Die anfängliche Reaktion ist aber negativ, vermutlich von Furcht vor Neuem getrieben.

Hat ästhetische Wahrnehmung im Alltag andere Auswirkungen als in der Kunst?

HL: Im Alltag könnten Dinge, die wir nicht kennen und nicht verstehen, gefährlich sein. Wenn ich im Wald einem großen Wesen begegne, das sich auf mich zu bewegt, dass ich als neu und unbekannt klassifiziere, dann ist Weglaufen vermutlich die allerbeste Reaktion. Die Künste dagegen könnten in unserer Gesellschaft so mächtig geworden sein, weil dort spielerisch Furchtsituationen und Unsicherheiten bewältigt werden können - weil sie schädigungsfrei sind. Wir führen auch Forschungen zu Ambiguität durch, warum Mehrdeutigkeit von Menschen so geschätzt wird. Wir vermuten, dass dies auch einer der Gründe ist, warum Kunst so erfolgreich ist. Ambiguität löst auch negative Reaktionen aus, die aber durch Nachdenken bewältigt werden können und dazu führen, uns relativ zu stärken. Gerade die Kunst erlaubt uns mit Dingen wie Unsicherheit und unzureichendem Verständnis umzugehen, die in der biologischen Welt viel gefährlicher wären. In der Wahrnehmung von Kunst ist ein spielerisches Ausprobieren von Dingen möglich, die ich nicht sofort verstehe, und die mir, nachdem ich mich damit beschäftigt habe, weiterhin unklar sind und mich trotzdem beeindrucken. Das ist etwas, was unser Wahrnehmungsapparat im Alltag immer auszuschalten versucht.

Ist die Kunst dann auch eine Möglichkeit, unsere Angst vor Veränderungen einzudämmen?

HL: Man kann eher davon sprechen, dass wir dort Strategien erproben können, wie man mit Ängsten umgeht. Vielleicht ist es deswegen auch so, dass in unserer Welt, in der Veränderungen sehr schnell passieren – Städte zum Beispiel gibt es erst seit ca. 8000 Jahren – solche Spielwiesen des Geistes und der Gefühle so dominant sind.

Ästhetisch wird meist mit schön gleichgesetzt. In der Kunst seit der Moderne kann hässlich aber auch schön sein.

HL: Ich würde es so formulieren: Hässlich kann genauso ästhetisch sein. Die Merkmale des Objektes, die Gegenstand der ästhetischen Wahrnehmung sind, können heute alles Mögliche sein – es gibt dafür keinen Kanon und keine Norm mehr. Wir haben gerade eine Studie gemacht, bei der wir die Emotionen beim Betrachten von Kunst gemessen haben. Wir haben Bilder ausgewählt, deren Inhalte deutlich negativ oder positiv sind, sozusagen schön und nicht-schön. Es hat sich beim Messen der Gesichtsmuskulatur gezeigt, dass alle Betrachter emotional ähnlich reagieren. Die Experten allerdings haben die Bewertung der Kunstwerkes, die negative Emotionen auslösten, positiv erfahren. Das nehme ich als Hinweis darauf, dass wir im ästhetischen Modus lernen können, diese negativen Emotionen zu bewältigen – ob Neuheit, überwältigende Schönheit oder furchtbare Schrecken des Krieges bei den Objekten der Chapman-Brüder. Insofern könnte man es noch einmal umformulieren: Es ist nicht das Hässliche schön, oder ästhetisch, sondern in der Kunst ist sogar das Hässliche genussfähig.

Welche Bedeutung kommt der ästhetischen Wahrnehmung in unserer Gesellschaft zu?

HL: Dies ist ein langfristiges Ziel unseres Forschungsschwerpunkts: Wir wollen aufzeigen, welche Funktionen Kunst hat und das dieses Spielerische eine wichtige Ressource unserer Gesellschaft ist. Denn Kunst ist nicht nur per se eine interessante Beschäftigung, sondern eine Schulung und Stärkung für den kulturellen Wettbewerb, in dem wir jetzt stehen. Das heißt nicht, dass wir eine Gesellschaft von Künstlern brauchen, sondern von kunstsinnigen Menschen - eine Stärkung des ästhetischen Sinns.
(Interview vom 10.1.2011, Sabine B. Vogel)

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