Quicksearch

Impressum

cover_kursiv.jpg



Hendrik Weber: Kursiv – Was die Typografie auszeichnet
Niggli Verlag, 128 Seiten, über 100 Abbildungen, 16 x 23,5 cm, Schweizer Broschur mit Klappen, deutsch,
Euro (D) 29.–, Euro (A) 29.80

Eine Schrift über den Italic-Button zusätzlich schräg zu stellen, schmerzt jeden Typografen, wenn die Schriftfamilie nicht über einen kursiven Schnitt verfügt. Die Funktion „Italic“ im Word neigt die Schrift automatisch um 12 Grad. Diese Funktion ist auch auf eine bereits kursive Schrift anwendbar. Doch eine Kursive, also „Laufende“ Schrift nur auf die Neigung der Buchstaben nach rechts zu fixieren, greift zu kurz. Hendrik Weber reist in diesem Buch, das als Diplomarbeit an der Hochschule für Buchkunst in Leipzig entstand, durch die Geschichte der Typografie, immer auf der Fährte der Kursiven vom handschriftlichen Ursprung über die typografische Einführung in den Buchsatz im 16. Jahrhundert bis zu modernen Schriften.

Zur Zeit der Römer existierte diese Kursive völlig eigenständig als schnelle, notizenhafte Aufzeichnungsform neben der aufwändigeren, meist in Stein gemeisselten Capitalis Monumentalis. Beide Schriften generieren ihre Form direkt aus den Eigenheiten des Schreibwerkzeugs: Die Monumentalis vom breiten Pinsel, die Kursive vom Zug der Feder auf Papier oder dem Griffel, der in Ton oder Wachs gedrückt wurde. Später brachte die Einführung der karolingischen Minuskel mit Groß- und Kleinbuchstaben zur Zeit Karls des Grossen eine deutliche Verbesserung der Lesbarkeit und einen flüssigeren Schreibstil. Sie erlebte im 15. Jahrhundert nach ihrem Verschwinden als humanistische Kursive ein Revival. Humanistische Schreibmeister benutzten Abschriften antiker Texte aus der karolingischen Zeit als Forschungsquelle und Vorbild. In der Annahme, die karolingische Minuskel würde auch dem Geist der Antike entsprechen, übernahmen sie ihren Duktus und entwickelten sie zu eigenständigen Kursiven. Schreibmeister wie Aldus Manuntius oder Palatino schrieben und schnitten eigene Schriften, die für den Druck eingesetzt wurden. Ihr grosser Erfolg machte sie über Italien hinaus weitläufig als „Italic“ bekannt. In der Folge wanderte das Druckzentrum von Italien nach Frankreich, wo bedeutende Schriftentwerfer wie Granjon, Jannon oder Garamond weitere Schriftklassiker entstanden. Granjon war zudem vermutlich der erste Gestalter, der seinen Schriften eigene Namen gab. In der Folge entstanden „Kontrastschriften“, stark geprägt durch den handschriftlichen Einsatz der Spitzfeder. Im 16. Jahrhundert waren die Niederlande im Schriftdesign führend – einer der Protagonisten war Plantin. Während der Barockzeit wurde die Kursive immer mehr in den Verband der Roman-Schriften aufgenommen, ihre Eigenständigkeit als selbständige Textschrift ging langsam verloren, sie übernahm mehr und mehr die Funktion der Auszeichnungsschrift. Zugleich übernahm sie immer mehr die Rolle einer kunstfertigen Handschrift, die herausragende gestalterische und technische Fähigkeiten verlangte. Üppige Verzierungen und Ligaturen imitierten Handschriften so real, dass man oft gedruckte Dokumente für handschriftliche Originale halten konnten. Die Schriftenschreiber entwickelten oft gezielt komplexe Entwürfe, um sie vor allzu leichter Nachahmung zu schützen. Im 18. Jahrhundert setzte sich nach den britischen Kolonialländern, Italien und Frankreich letztlich auch in den USA die englischen Schreibschrift durch. Im 19. und 20. Jahrhundert entwickelten sich Schriften vielfältig und in verschiedensten Stilrichtungen weiter. Viele der Gestalter griffen auf historische Vorbilder zurück und entwickelten sie für zeitgemässe Anwendungen weiter. Die Kursive verfestigte im Zuge dessen immer mehr ihre Rolle als Auszeichnungsschrift.

Das finale Kapitel dieses Buches bietet einen Überblick über den grundsätzlichen Formaufbau der Kursiven. Weber zeigt den Einfluss des Schreibwerkzeugs und des persönlichen Duktus auf das Schriftbild und stärkt damit seine These, dass unterschiedliche Schriftstile vor allem von diesen Faktoren bestimmt werden. Damit rundet er seinen detailorientierten, fundierten Weg durch die Schriftgeschichte praktisch ab. Damit bietet er vor allem fortgeschrittenen Typophilen eine lohnenswerte Lektüre.

Angenehm ist auch die bilbliophile Gestaltung des Büchleins. Die Schweizer Broschur überzeugt in Kombination mit dem klassischen Layout und Hendrik Webers Schrift Lirico als Satzschrift, der unaufregenden klaren Präsentation der Abbildungen und der Reduktion der Farben auf Schwarz und Rotbraun.

Erwin K. Bauer
< voriges Buch
nächstes Buch >