Quicksearch

Impressum

jh.jpg

Ein Gespräch mit Julian Heynen, Co-Kurator der 7.Shanghai Biennale, im Shanghai Fine Arts Museum in Shanghai. geführt von Sabine B. Vogel

1. Was sind Ihre Erfahrungen kurz vor der Eröffnung der 7.Shanghai Biennale?
JH (Julian Heynen):
Die Art und Weise des Kommunizierens und Arbeitens ist hier schon sehr anders als bei uns. Unser background, die Moderne, ist nur bruchstückhaft vorhanden. Vieles, was wir als gegeben voraussetzen, existiert hier nur in Ansätzen. Das beginnt mit der Vorstellung, was eine Ausstellung ist, dass sie mehr sein kann als eine Addition von Objekten, bis zur Frage, wie man ein Bild richtig anfasst.

Das Ziel ist ja eine Ausstellung, die nach außen halbwegs vermittelbar ist und dafür wühlt man sich durch einen von uns nur als Chaos empfundenen Betrieb durch. Wir haben das unter den Umständen ganz gut erreicht, auch wenn wir jetzt drei Stunden vor der Eröffnung noch immer an einigen Baustellen arbeiten. Wenn ich davon abstrahiere, dann war es eine fantastische Erfahrung in diesem extrem fremden, dynamischen Land China.


2. Wurde von Ihnen als Kurator der Biennale auch erwartet, dass Sie chinesische Künstler auswählen?
JH:
Ausdrücklich nicht. Wir hatten in unseren Vorschlägen auch chinesische Künstler berücksichtigt, aber uns wurde deutlich gemacht, dass das nicht von uns erwartet wird. Das ist durchaus auch logisch, denn man wusste, dass wir keine Experten für chinesische Kunst sind. Mit uns kaufte man außer-chinesisches Know-how ein.


3. Biennalen sind oft ein aufklärerisches Forum mit dem Versprechen auf politische und gesellschaftliche Öffnung. Sehen Sie das auch hier bei der Shanghai Biennale?
JH:
Indirekt ja. Wenn ich die Kataloge der früheren Biennalen anschaue, merkt man schon, dass sich der künstlerische Horizont Stückchen für Stückchen weiter öffnet – deswegen macht man es ja auch. Warum sollte man sich sonst dem ganzen Stress aussetzen – „Wandel durch Annäherung“ hat Egon Bahr gesagt. Und das ist auch die Motivation, die einen hier hinbringt. Man sieht etwa, dass im Vergleich zu den beiden vorherigen Biennalen die Inhalte stärker betont werden oder überhaupt möglich werden. Die vorherigen gingen von formalistischen Fragestellungen aus, zur 6.Edition 2006 „Hyperdesign“ und davor „Techniques of the Visible“. Wenn man dagegen einige der chinesischen Videos hier nimmt, sieht die Sache schon ganz anders aus. Ich meine etwa Yang Shaobin, der das Leben von Minenarbeitern dokumentiert, oder Zhang Weijie´s filmische Studie von den Menschenmengen, die während der „Spring Rush“ auf den Bahnhöfen warten, um in ihre Dörfer zurückzufahren – übrigens eine Szene, die in dem Film von Ulrike Ottinger, den sie in den 80er Jahren in China gedreht hat, damals auf sehr großen Widerwillen bei den Autoritäten traf. Heute macht das ein chinesischer Künstler. Wenn man in den großen Zeiträumen einer Biennale denkt, dann merkt man, das eine Öffnung da ist, die auch ausdrücklich nach kritischer Kunst verlangt – wobei natürlich immer eine Ausgewogenheit zwischen „kritischer“ und „neutraler“ Kunst herrschen soll, wie das die chinesischen Kollegen nennen.


4. Es wurde sehr kritisiert, dass die eher kritische Arbeit von Zhou Tao in der Nähe der Toiletten etwas versteckt präsentiert ist – ist diese Kunst nicht „neutral“ genug?
JH:
Das waren Wunschorte von unserem chinesischen Kollegen Zhang Qing, die sind da nicht abgestellt worden. Aber es gibt natürlich ein grundsätzliches Problem. Henk Slager und ich hatten beschlossen, die Zahl der Künstler radikal zu senken, statt der 130 in der letzten Edition jetzt nur 45. Am Ende ist die Zahl auf 60 oder etwas mehr gestiegen und da wurde es mit dem Platz eng. Aber das scheint für niemanden hier ein Problem zu sein – das ist wieder das, was ich eben ansprach: Die Vorstellung, was eine Ausstellung ist, was ein angemessener Kontext für eine Arbeit ist, wie das Umfeld sein soll, das stellt sich hier anders dar als bei uns.


5. Mir scheint, hier sind die chinesischen Künstler deutlich in der Überzahl?
JH:
De Facto ist es 50:50, aber der Eindruck, den Sie haben, täuscht wiederum nicht. Es ist ja auffällig, dass viele chinesische Kunstwerke deutlich größer sind, etwa 50 Meter lang wie die Dinosaurier-Kolonne von Yue Minjung. Das ist ein Punkt, der auch von chinesischen Künstlern, Kritikern und Kuratoren skeptisch gesehen wird. Je größer desto besser scheint bei vielen das Motto zu sein. Ich erkläre mir das so, dass es einen Drang gibt, mit der Außenwelt, mit der Realität Schritt zu halten, die ja auch nur ein „größer“, „besser“ und „schneller“ kennt, ob in der Architektur, der Stadtentwicklung oder in der Werbung. Da gibt es für viele Künstler offenbar nur die Strategie des Mithaltens. Subversivere Strategien, wie man mit der zeitgenössischen Realität umgehen kann und wie sie in der westlichen Kunst über 100 Jahre entwickelt worden sind, sind hier weniger vertraut.


6. Die Pressekonferenz war auch dieses Jahr wieder rein chinesisch. Es sind 100 internationale Journalisten hier – sind die für die Biennale nicht interessant?
JH:
Das ist eine ganz seltsame Geschichte. Sven Bergmann, der Pressesprecher der Kunstsammlung Düsseldorf, hat mir den Gefallen getan und eine kleine Pressekonferenz vorab in Berlin organisiert. Da ist der chinesische Kollege aufmerksam geworden und hat um seine Mithilfe als Berater und Organisator für die internationale Pressearbeit gebeten. Als er hier ankam, stellte sich eine halbe Stunde vor der Eröffnung heraus, dass die Presseabteilung des Museums davon nichts wusste – obwohl die Biennale und das Museum in einer Organisation unter einem Dach arbeiten. Seine ausführliche Pressemappe wurde zwar zehn Tage lang diskutiert, aber dann nur ganz eingeschränkt umgesetzt. Einen stichhaltigen Grund dafür habe ich noch nicht herausgefunden. Man möchte zwar international gut dastehen, aber der eigene Betrieb, die immensen Hierarchien, notorische Bürokratie verhindern viel.


7. Glauben Sie, dass das Format Biennale da Veränderungen Richtung Professionalisierung vorantreiben kann?
JH:
Prinzipiell ja, aber sicher bin ich mir da nicht. Wenn diese Biennale nicht radikal modernisiert wird, auch oder gerade von den Organisationsstrukturen her, dann könnte sie z.B. gegenüber einer sich positiv entwickelnden Shanghaier Kunstmesse den Kürzeren ziehen. Es könnte sich am Ende der etwas zynische Satz bewahrheiten, dass die Kunstmessen die besseren Biennalen sind. Der private Sektor kann natürlich anders mit Finanzen umgehen, und der private Raum einer Messe, die von einer Firma organisiert wird, ist womöglich ein anderer Freiheitsraum, dies auch auf die Inhalte bezogen. Hier in diesem Museum, dieser Biennale spricht die Regierung, es ist deren Aushängeschild, also gibt es auch starke Restriktionen. Zumindest deutet das sich für mich so an. Das ist auf lange Sicht eine Gefahr.

Zhang Qing hat gestern auf der ifa-Biennale-Konferenz über Vermittlung oder Erziehung gesprochen. Das meiste, was er genannt hat, würden wir eher unter Marketing verbuchen. Eine wirkliche Verwurzelung innerhalb einer breiten Schicht, die sich für Kultur interessiert, existiert offensichtlich noch nicht. Rein zahlenmäßig steigert sich das Interesse enorm von Edition zu Edition. Aber die Frage ist natürlich, als was sie wahrgenommen wird von den vielen Besuchern – ist es irgend ein weiterer Themenpark oder bildet sich langsam ein Bewusstsein darüber, was eigentlich Kunst in der Gegenwart ist, sei es chinesische oder andere. Es geht vorwärts, aber es bleiben auch Zweifel. Es ist ja auch durchaus eine Frage, wie man mit einhundert Jahren Moderne, die im Westen entwickelt wurde, hier und heute umgehen soll. Man kann ja nicht auf- oder nachholen, man muss versuchen, dass die Sache hier nicht an der Oberfläche bleibt. Das ist eine große Herausforderung, zwischen Aufklärungswillen und Kommerzialisierung als Unterhaltungsindustrie.


8. Gibt es nicht noch die Möglichkeit, dass ein neuer Weg erfunden wird?
JH:
Sie meinen mit der Biennale hier? Das braucht viel Zeit. Die Organisation war sehr interessiert an unserem ursprünglichen Konzept, in die Stadt hinaus zu gehen, die Stadt einzubeziehen, aber de facto war das politisch nicht möglich. Es entwickelt sich in China ungeheuer viel sehr schnell, aber wenn es an das Eingemachte geht, kommt Vorsicht auf. Auch die Funktionäre spüren, dass in der Kunst ein symbolischer Wert und subversive Qualitäten stecken – deswegen entwickeln sich die Dinge in der Biennale langsamer als in anderen Bereichen der Gesellschaft.


9. Oben in der vierten Etage findet gerade ein Symposium zu Kunst im öffentlichen Raum statt – ist das ein hier zu verstehendes Konzept?
JH:
Das weiß ich nicht. Ich habe einen interessanten Artikel von einer Kulturtheoretikerin gelesen, die darauf hinwies, dass es in der Geschichte Chinas gar keinen öffentlichen Raum in unserem Sinne gibt. Raum ist immer der Raum des Familienhauses. Der Raum zwischen den Räumen der Familien – ist gar kein qualifizierter Raum, nur funktionaler Verbindungsweg, ohne eigene Qualität im Sinne der griechischen Agora. In Pudong gibt es ein privates, von der Regierung unterstütztes Projekt mit Kunst im öffentlichen Raum in dieser öden Gegend. Auch wenn dort erstklassige Künstler eingeladen wurden, merkt man, dass die Werke in der Umgebung ziemlich fremd sind oder umgekehrt fast so funktionieren wie das Maskottchen der Expo. Dennoch, es ist gut, dass es solche Versuche gibt.


10. Die Biennale erwartet laut Zhang Qing eine halbe Millionen Besucher – ist das realistisch?
JH:
Angeblich waren es zur letzten Edition 250.000. Das sind aber vor allem die Erwartungen, genauso wie die Aussage, man erwarte im Jahr 2040 im Raum Großshanghai 140 Millionen Einwohner. Das ist auch etwas Plandenken. Besucherzahlen werden auch in anderen Ländern gerne mal gefälscht.


11. Wie kam das Maskottchen, der aufgeblasene rosa Plastikturm zustande?
JH:
Das stammt von einer US-amerikanischen Werbefirma, die zuerst aus dem Thema einen neuen Oberbegriff kreieren wollten: „Inflation“. Das haben wir schnell abgebogen. Eigentlich war wohl ´inflatible´ gemeint, Shanghai als aufgeblasener Ballon, also hat man den Fernsehturm als aufblasbares Objekt erfunden. Das gedrungene, knubbelige Maskottchen kommt mir sehr chinesisch vor – der Trend zur Infantilisierung durch solche Gimmicks ist auffällig in Asien, eine orts- und zeittypische Folklore, wenn man so will.


Besten Dank für das Gespräch.

-----------------------------------------------------------------------------------

Dr. Julian Heynen, künstlerischer Direktor der K21 Kunstsammlung NRW in Düsseldorf, war zur 50. Biennale Venedig 2003 und 51. Biennale Venedig 2005 Kommissar des Deutschen Pavillons. Als Kurator zusammen mit Henk Slager und dem künstlerischen Direktor Zhang Qing ist Heynen verantwortlich für die 7.Shanghai Biennale 2008, die vom 9.9.-16.11.2008 im Shanghai Fine Arts Museum unter dem Titel „TransLocalMotion“ 59 KünstlerInnen aus 21 Ländern präsentiert. Begleitend erscheit ein chin./engl. Katalog mit 340 S., der RMB 320 (ca. Euro 32,-) kostet. www.shanghaibiennale.org

nav/kunst_int_on.gifnav/kunst_rez_off.gif
< voriges Buch