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Typopassage Wien – Mikromuseum für Gestaltung von und mit Schrift –

Erwin K. Bauer im Gespräch mit Welcometo.as
A = Adam Macháček S = Sébastian Bohner

Verschiedene kulturelle Wurzeln scheinen fruchtbar für euer gemeinsames Schaffen zu sein: Tschechien, Frankreich, Großbritannien, die Schweiz und USA. Wie beeinflusst diese konstante Bewegtheit euren Designzugang?

/ A: Mit 20 wechselte ich von der Prager ­Akademie für Kunst, Architektur und Design an die Rietveld Akademie in Amsterdam, was ein großer Schock für mich war. Alles war anders als ich es gewohnt war: die Art wie Grafik Design unterrichtet wurde, die Anzahl an ­jungem Lehrpersonal, die Internationalität der StudentInnen… Das und vieles mehr hat mir die Augen geöffnet. Ich mochte Holland und seine Freigeistigkeit. Grafik Design schien mehr natürlicher Bestandteil der Kultur und des allgemeinen Bewusstseins zu sein. Wenig später lernte ich Sébastien im Studio Dumbar kennen, in dem wir beide als Praktikanten arbeiteten. Wir verbrachten viel Zeit miteinander und teilten unsere täglichen Beobachtungen. Eine meiner ersten Erinnerungen an Sébastien ist eine gemeinsame Autofahrt durch Den Haag. Auf das Fahren konzentrierte er sich wenig, stattdessen kommentierte er Interessantes in der Umgebung: „Schau, wie der Vogel sich bewegt!“, irgendwohin deutend. Das ist sehr charakteristisch für ihn und unsere Zusammenarbeit: er ist sorglos, ich hingegen stresse vielmehr. Ein Ort ist unseren Arbeiten nicht anzusehen, auch wenn sie in verschiedenen Ländern, Büros, in seltsamen Wohnungen, im Zug oder sogar im Urlaub entstanden sind.
/ S: Ich bin der sesshaftere Part des Teams. Adam ist ein Bohemien im doppelten Wortsinn und könnte überall leben. Als ich mit 21 nach London übersiedelte, hatte Grafik Design quasi keine Bedeutung für mich – ich dachte einfach, London sei ein guter Platz, um eine Kunstschule zu absolvieren. Ich schrieb mich für Kommunikationsdesign am Ravensbourne College ein und hatte wenig Ahnung was ich dort lernen würde. Aber es stellte sich als sehr interessant heraus. Die Lehrenden brachten uns Grafik Design näher, in dem wir beinahe alles außer ­Grafik Design machten. Einmal mussten wir die menschliche Evolution kreativ erklären. Im Team kreierten wir eine Art Papierkugel als Symbol für die Erde, innen mit einem gewundenen Weg, der die Evolutionsabschnitte zeigte. Es war instabil und fiel während der Präsentation auseinander, ein typisch ideal­istisches Projekt, das nicht gut umgesetzt werden konnte. Während meiner Zeit in London versuchte ich ständig einen Weg zu finden, wie ich meine Ideen in der Praxis umsetzten kann.

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Wie funktioniert es für euch an verschiedenen Orten zu leben, aber als Kollektiv zu arbeiten?

/ S: Nach unserer ersten Begegnung in Den Haag trafen wir uns zufällig in Lausanne, ­meiner Heimatstadt wieder – Adam hatte ein Stipendium für die hiesige ECAL Universität für Kunst und Design. Ausgangspunkt für unsere Zusammenarbeit war ein Auftrag, das Programm des Théâtre de Vevey zu gestalten. Seit dem ist Adam immer auf Achse und hat ­Lausanne vor einem Jahr endgültig verlassen. Natürlich ist es besser, sich real zu treffen – aber Skype und Sendspace sind gutes Rüstzeug, um die Distanz zu überwinden. Der Gedanke, dass unser Studio 24 Stunden am Tag produktiv ist, seit Adam in Kalifornien lebt, ist sehr schön. Wir treffen uns täglich über Skype und teilen Ideen und Material.
/ A: Arbeitsweisen verändern sich radikal durch neue Technologien, nicht nur für ­DesignerInnen. Uns ist es doch ein Anliegen, unsere ProjektpartnerInnen persönlich zu treffen oder ein Objekt wirklich zu sehen. Man kann es mit dem Job von ­JournalistInnen vergleichen: unsere Arbeit ist ein konstanter ­Dialog, das Resultat ein Interview.

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Visuelle Kommunikation arbeitet mit zwei Haupt­elementen: Text und Bild. Wie interagieren sie, bzw. wie funktionieren sie getrennt?

/ A: Wenn ich einen Text lese, entwerfe ich dauernd Bilder im Kopf dazu. Sehe ich aber ein Bilderbuch an, kommen mir sofort Worte in den Sinn. Das ist ein konstanter Wechsel, je nachdem, was und wie man kommunizieren will. Text und Bild können gemeinsam oder getrennt agieren, aber das muss mit jedem Projekt neu hinterfragt werden.
/ S: Einmal haben wir ein Poster für den Künstler Jiří Kovanda entworfen, der seine Ausstellung „Work on Paper“ nur über Text beworben haben wollte. Wir arbeiteten mit Fetzen unseres Emaildialogs, den Anweis­ungen der Galerie wie Text und Logos platziert werden sollten, etc. In diesem Fall funktionierte das Design nur über Text – ganz ohne Bild. Das komplette Gegenteil ist unsere Arbeit für das ­Kleidungsgeschäft Basmatee: das ganze visuelle Erscheinungsbild kommuniziert nur über Zeichnungen.

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Kann Schrift an sich ein Bild sein?

/ A: Ich hab das Wort „Schrift“ in die Google-Bildersuche eingeben. Da bekommt man bizarre Alphabete aus Möbeln, Körpern, Land­karten, Baumblättern, Steinen, Flecken, Wolken, Tieren. Sie sind lesbar, so lange diese Zeichen dem Prinzip folgen, das wir als ­Kinder in der Schule als Buchstabenreihe gelernt haben. Kinder, die im Wald spielen, mit Ästen Geheimwege kennzeichnen oder Nachrichten hinterlassen, kümmern sich auch nicht, ob sie das in Helvetica oder Normetica tun. So lange ich es lesen kann, ist es also Schrift.

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Glaubt Ihr, die zunehmende Verwendung und Akzeptanz digitaler Medien ändert den Gebrauch und die Gestaltung mit Schrift?

/ S: Wir wollen betonen, dass wir keine Typografen sind – aber Typografie als Werkzeug benutzen. Es ist nach wie vor schwierig, bestimmte Schriften im Web so zu verwenden, wie wir es im Printbereich gewohnt sind. Die Schnittstellen sind immer noch zu kompliziert und inkompatibel. Manche Screens wirken zwar schon wie Papier und werden es schlussendlich auch ersetzen, aber die Art wie Schriften entworfen oder benützt werden, wird sich nicht verändern.

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Eure Gestaltungen sind oft spieler­isch-modular – wie die visuelle Identität für Oloom. Ist Spielen eine eurer ­kreativen Strategien?

/ S: Sicher, wir mögen Spiele. Aber spiel­erisch zu sein ist eher eine Denkweise als eine Strategie. „Strategie“ klingt, als würden wir das Spielerische als eine von vielen Möglichkeiten wählen. Eine kreative Strategie war das Spielen damals, als wir ein Tischfußball in unserer Bürogemeinschaft hatten. Sobald wir inspiriert waren, haben wir schon gewuzelt. Einer der SpielerInnen war der Gründer von Oloom, dem Interior-Unternehmen, für das wir arbeiteten.
/ A: Die Idee einer passenden visuellen Identiät für Oloom basiert auf einer von Marek Pistora entworfenen Schrift namens „Merkur“, die sich aus Elementen eines Metallspielzeugkastens entwickelt. Aber wir verwendeten nicht die Schrifttype, sondern zerlegten sie wieder zurück in ihre Bestandteile, die wir für Illustrat­ionen nutzten. Dieser Vorgang reflektiert für uns den Arbeitsvorgang von Oloom, die nicht nur ­designen sondern auch selber produzieren.

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Wenn das Spielerische eine Denk- bzw. Arbeitsweise ist – mit welchen Methoden arbeitet ihr noch?

/S: Adam macht Dinge so lange neu und wieder neu, bis die Druckerei anruft und um die finale Rein­zeichnung bettelt.
/A: Ich glaube, Sébastiens Taktik ist es, ­seinen Desktop frei zu halten. Sind dort mehr als drei Files, wandert alles andere in den Mistkübel. Auf dem Weg haben wir zwar schon einige Arbeiten verloren, aber zumindest ist immer genügend Speicherplatz für große ­Aufträge vorhanden.

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Heutzutage kann fast jede Person mit einem Com­puter gestalten. Was ist für euch der Unterschied zwischen professionellen DesignerInnen und Laien?

/ A: Besitzen nur Menschen die zeichnen können Stifte? Ansonsten müssten ja Drucker­eien alle Menschen mit einem Drucker zu Hause anprangern. Ich finde es gut, dass jede Person mit einem PC gestalten kann und Menschen ihre eigenen ­Visitenkarten oder Folder entwerfen. Der einzige Unterschied ist nur, ob das Resultat interessant ist oder nicht.
/ S: Für Grafik Design gilt wahrscheinlich bald das selbe wie für Musik: alle können es machen und es könnte genauso in einer Garage wie in einem großen Studio entstanden sein.

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Ihr habt euch entschieden, ein gänzlich neues Projekt in der Typopassage zu realisieren – was war eure Herangehensweise?

/ A: Jedes Format verlangt nach einer an­deren Art der Repräsentation. Eine Retrospektive unserer Arbeiten (die sowieso auf unserer Website zu finden sind) in diesem kleinen Katalog war uns zu wenig. Außerdem probieren wir gerne neue Sachen aus. Stattdessen nahmen wir Elemente, Details, Fragmente aus ihrem Kontext und spielten mit ihnen wie Djs.
/ S: Wir haben versucht eine Landschaft zu gestalten, die einen Streifzug durch unsere Arbeit möglich macht, darauf liegt eine Farbschicht. Reißt man die Seiten aus dem Katalog und setzt sie neu nach den Farben zusammen, ergeben sich vier die Poster, die wir für die Typopassage gestaltet haben. Am Ende des Kataloges verweist ein Index auf die Projekte, aus denen die Landschaft komponiert ist.
/ A: Wir nennen das Resultat L O O P. Was wir an der Idee der Typopassage mögen, ist ihr ­direkter Kontakt mit den PassantInnen. Die ­meisten werden nicht gewollt mit unserer Arbeit konfrontiert: Leute gehen vorbei, hin und zurück und wenn sie mehr als einmal durch die Passage gehen, machen sie einen Loop. Wenn jemand Gefallen an den Postern hat, können sie in Form eines Buches im Automaten direkt vor Ort gekauft werden. Der Wechsel zwischen Plakat und Buch findet also in einer nahtlosen Schleife statt.

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Manchmal berührt ihr die Grenzen von dilettantischem, grobem und naivem Design – was in einer erfrischenden Formensprache und einem unverkennbaren Designvokabular resultiert. Wie hat sich diese Arbeitsweise entwickelt?

/ A: Unsere Jahresprogramme für das Théâtre de Vevey sind sicher ein gutes Beispiel. Wir haben mit vorgegebenen Regeln und Unterlagen zu arbeiten, das heißt manchmal auch mit wahl­losem und qualitativ sehr unter-schied­lichem Material konfrontiert zu sein. Hie und da sind die zur Verfügung gestellten Fotos von schlechter Qualität, manchmal schwarz /weiß, manchmal bekommen wir Zeichnungen, manchmal gar nichts. Dennoch müssen wir ein Bild finden, das den Text ergänzt. Diese klar definierten Grenzen bringen uns schlussendlich dazu, doch auch Spaß am Arbeiten mit schlechtem Material zu haben.
/ S: Diese Beschränkungen zwingen uns, unsere Freiheit zu verteidigen. Einmal haben wir diese Regeln bis zum Äußersten ausgereizt: wir entschieden uns, die schlechte Qualität des Materials auszubeuten. Wir verwendeten Un­mengen von low-res Bildern aus dem Internet, die wir mit dem eigentlichen Material verschmolzen. Das Théâtre mochte das Konzept, aber nicht das Resultat. Die Zeit lief aber zu unseren Gunsten und sie mussten Zugeständnisse machen – ­im Endeffekt waren wir mit dem Ergebnis immer noch glücklich. Das klingt vielleicht, als wären wir unflexible, machthaberische Designer – aber eine Aktion verursacht eine Reaktion und deren Regeln bewirkten unsere Stellungnahme.

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Werdet ihr durch triviales Alltagsdesign inspiriert?

/ A: Eigentlich durch alles, was ich sehe oder tue – ab der Minute, in der mein Mobiltelefon mich mit weiblicher Stimme aufweckt: „IT IS TIME TO GET UP! THE TIME IS EIGHT O'CLOCK!“. Oder manchmal bringe ich die Stimme zum Schweigen und träume einfach ­weiter.... Seit ich in einer anderen Zeitzone als Sébastien bin, arbeite ich viel während der Nacht. In dieser Stille machen Dinge, die ich während des Tages erlebt habe, gleich viel mehr Sinn.
/ S: Adam hatte mal dieses japanische ­Kinderspiel „Mix & Match“. Er mochte es gerne und dachte, es könnte als ein tolles ­kleines Printobjekt funktionieren. Unserer Motivation zum Trotz wollte es aber niemand realisieren. Irgendwann konnten wir das Théâtre de Vevey überzeugen, es für eine Umschlagklappe zu verwenden und schlussendlich konzipierte das gesamte Programm auf dieser Idee – es war toll, es endlich verwirklicht zu sehen.

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Ihr arbeitet oft in schwarz/weiß – und im Gegensatz auch stark farbig. Was sind die unterschiedlichen ­Qualitäten dieser Ansätze?

/ A: Die Typopassage ist ein gutes Beispiel: wir wollten alles in schwarz/weiß zeigen – wie traditionelle Typografie. Ich bin fasziniert, wenn ich nur wenige Linien sehe und sie mir genau das zeigen, was ich wissen muss. Die Entscheidung zwischen schwarz/weiß und Farbe bedeutet, auf einem schmalen Grat zu wandeln. Es gleicht dem ­Prozess, zwischen verschiedenen Schriften ­entscheiden zu müssen: die exakt selbe Seite, gesetzt in zwei unterschiedlichen, aber ­beinahe identischen Schriftarten wird vielleicht ähnlich wirken, aber einen Unterschied beim Lesen machen. Das gilt auch für Farben: sie vermitteln eine bestimmte Stimmung, geben ein Gefühl und transportieren eine Message. Jedes Projekt verlangt im ­End­effekt etwas anderes.

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DesignerInnen arbeiten immer referenziell und zitieren Stile. Wie seht ihr euch in diesem Zusammenhang?

/ A: Wir arbeiten letztlich an etwas schon Existierendem und wiederholen die ­selben Muster. Es ist eigentlich sehr inspirierend herauszufinden, dass jemand vor 50 Jahren mit den exakt selben Themen konfrontiert war, die man heute wieder bearbeitet. Wir haben viele Idole aus Vergangenheit und Gegenwart: ohne sie wären wir nicht wo wir sind – gewisser­maßen werden wir von ihnen angetrieben. Kürzlich besuchte ich z.B. ein Museum, das dem Autor von Charlie Brown gewidmet ist. Charles M. Schulz war in der Lage, 50 Jahre lang einen ­täglichen Zeitungscomic mit nur wenigen ­Charakteren zu gestalten. Die Arbeit wurde ihm nie zu langweilig und die LeserInnen liebten es. Das ist für mich ein Genie!

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Ist es überhaupt möglich, etwas ganz Neues zu entwerfen?

/ S: Ich frage mal das Gegenteil: ist es möglich, eine exakte Kopie herzustellen? Am Ende ist doch keine Arbeit wie die andere. Auch wenn ein Projekt stark an eine bestehende Arbeit erinnert, ist es doch ein Original: ein Mensch, der aufrichtig eine Idee Schritt für Schritt verwirklicht. Was zählt, ist sich selbst treu zu bleiben und den eigene Weg zu gehen. Unser ein­ziges Ziel ist es, unsere Ambitionen ohne Zwang nach vorne zu treiben. Genauso, wie Schlaf von alleine kommen muss und man sich nicht zum Schlafen zwingen kann: wenn wir in unsere Arbeit eintauchen und die Erwartungen hinter uns ­lassen, dann ­entwickelt sich Raum um frei zu denken – und das Resultat ist dann vielleicht sogar ein Unikat…

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Was wird die Rolle der DesignerInnen in Zukunft sein?

/ A: Mach immer das, was Dir selbst ein Anliegen ist. Wenn du es selbst genießt, werden das auch andere tun, ganz egal wann.
/ S: Es sieht so aus, als wäre alles schon einmal da gewesen, wenig bleibt über. Heißt das, dass Grafik Design irgendwann nur noch eine Frage des Stils ist? Wenn ich das denke, will ich diese schlimme Vorahnung wieder los werden. „Style“ ist der Rest, der übrig bleibt, wenn wir keine Ideen mehr haben – und Ideen sind der Antrieb, Grafik Design weiter lebendig zu halten.

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