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Oleg Jurjew, Die russische Fracht, Roman Suhrkamp, 220 S., 22, 80 |
Weniamin fährt mit dem Frachter namens Atenov, um die angeblich an der südlichen Ostseeküste versunkene, sagenhafte Stadt Vineta zu suchen. Vineta ist eine Art Gomorrha, moralischer Verfall führte zum Untergang. Tauscht man einen Buchstaben aus und liest den Schiffsnamen rückwärts, sind Frachter und Stadt eins. Moralisch höchst zweifelhaftes geschieht auch auf der Fahrt. Leichen an Bord, Mord und Betrug, gepanschter Wodka und vor allem lauter Menschen, die eigentlich schon längst tot sind – die Reise führt in die Vergangenheit des Helden, in die Geschichte Russlands, in die Gegenwart Europas, in die Fantasien des Autors und ins Chaos des Lesen. Großartige Formulierungen, irritierende Handlungssprünge, aberwitzige Einschübe – Jurjews neuer Roman ist zugleich eine Abrechnung und eine Hommage an seine Heimat. Wer sich nicht in den überschäumenden Wellen dieser turbulenten Reise verliert, erlebt neben dem hohen literarischen Genuss auch Ausblicke auf erstaunliche kulturelle Parallelen des neuen Europas.