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Michela Murgia, Accabadora, Roman, Wagenbach Verlag 2010, 173 S., Euro 18,40

Ob es diese Frauen tatsächlich gab, ist nicht geklärt, denn „Accabadora“ bezeichnet jene mythologische Figur sardischer Legenden, die als respektiertes Mitglied der Gemeinschaft aktive Sterbehilfe leisteten. Michela Murgia, geboren an der Westküste Sardiniens, greift diese Legende auf und fügt eine weitere sardische Tradition hinzu: Fillus de anima, „Kinder des Herzens“. „So nennt man die Kinder, die zweimal geboren werden, aus der Armut einer Frau und der Unfruchtbarkeit einer anderen.“ Die sechs Jahre alte Maria wird von der alten Tzia Bonaria aufgenommen und lebt ein glückliches Leben bis zu dem Tag, als sie die von den nächtlichen Ausflügen der Schneiderin erfährt. Zutiefst enttäuscht, verlässt sie Sardinien, lebt als Kindermädchen in der Großstadt und kehrt erst nach einem Schlaganfall der Ersatzmutter zurück. Das langsame Sterben der Alten konfrontiert die junge Frau erneut mit der Frage nach Sterbehilfe. „Meiner Mutter. Allen beiden“ lautet die Widmung der Autorin. Auch wenn die Handlung in den 1950er Jahren spielt, Murgia aber Jahrgang 1972 ist, lässt die sehr einfühlsame Erzählung vor allem der Situation eines Mädchens, die von der leiblichen Mutter ohne Zögern weggegeben wurde, einen autobiographischen Hintergrund vermuten. Die Schilderung der Dorfgemeinschaft, der einzelnen Charaktere, die spätere Konfrontation mit dem urbanen Italien – jedes Kapitel, jede Person, jede Situation ist enorm atmosphärisch und spannend geschildert und erzählt auf einer Metaebene von dem langsamen Wandel einer Gesellschaft auf dem Weg in die Moderne.

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