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Delicate, New Food Culture, R. Klanten, K. Bolhöfer, A. Mollard, S. Ehmann (Hg.) Gestalten Verlag, 240 Seiten, Englisch, € 38,–

Blättert man Delicate auf, wird man auf der ersten Doppelseite mit gemischten Spezereien aus verschiedenen Teilen Österreichs begrüßt. Alle Produkte sind regional produziert sorgfältig ausgewählt, von ausgesuchter Qualität und präsentiert wie zu Omas Zeiten. Der Wiener Greißlerladen lebt von seinem Flair mit Patina. Das Ursprüngliche, Abgeblätterte und Gekachelte will aber nicht nur von Gestern erzählen, sondern gibt uns die Unmittelbarkeit zurück, die wir in den letzten Jahrzehnten vermisst haben. Diese Suche nach dem Original, das sich emotional und direkt an die Essenden und Trinkenden wendet, verbindet die Food Designer und die Kommunikationsdesigner. Dieser Trend wird nicht zuletzt von der Sehnsucht genährt, wieder direkten Bezug zu Nahrungsmitteln wieder zu spüren, statt den vakuumverpackten Resultaten der industriellen Massenproduktion ohne Bezug ausgesetzt zu sein.

Nicht zufällig radikalisieren (Ex)Designer wie Christoph Keller, der den erfolgreichen Kunstverlag Revolver mit visionärer Kraft führte, die Suche nach Identität über den Umweg der Kulinarik. Nachdem er seinen Verlag verkaufte, zog er an den Bodensee, wo er jetzt hochwertige Edelobstbrände persönlich und sorgfältig herstellt. Seine Produkte sind die Essenz der Suche nach dem Ursprung, dem Selbst-Gemachten, den Selbst-Erlebten. Obwohl er als Grafik Designer auch Experte für Identitätsentwicklung und letztlich Übersetzer fremder Inhalte war, liegt im konsequenten DiY der eigentliche Schlüssel in der Suche nach Identität: Ideengeber, Handwerker, Produzent, Verkäufer verschmelzen zu einer Person. Das Produkt wird zur untrennbaren Einheit mit dem Schaffenden. Keine Arbeitsteilung, keine künstliche Markenstrategie, kein Call Center zur Kundenbindung oder Gewinnspiele zur Maximierung des Umsatzes sind nötig. Auch wenn gerade Kellers Destillate hochpreisig angeboten werden, weil die Produktionsmenge naturgemäß überschaubar bleibt, geht es nicht in erster Linie um die Marge, sondern um die hundertprozentige Identifikation mit dem Selbst-Produzierten.

Dieses nachhaltige Motiv zieht sich wie ein Plot durch das Buch mit seinen vielfältigen Beispielen, das eindrucksvoll zeigt, wie Designer nicht nur selbst produzieren, sondern auch ihre professionellen Fähigkeiten zu Branding, Packaging, Architektur und Präsentation in perfekter Symbiose einsetzen. Stile werden zitiert, spielerisch gewechselt und ironisiert. Der Spaß der Protagonisten am Schaffen, den sie in den oft improvisierten und experimentellen Projekte über ihren Charme versprühen, ist in der visuellen Vielfalt unübersehbar. Dass Kulinarik nur dann wirklich begeistert, wenn sie erlebt wird, beweist das Buch über versammelte Ideen zu mobilen Kochmöbeln, improvisierten Bio-Küchen im eigenen Stadtgarten bis zu Food Performances im Kunstkontext, wo die Inszenierung das Publikum zu einem neuen Gesamterlebnis führt. Food Design Stars wie Marije Vogelzang oder Jenifer Rubell sind hier ebenso vertreten wie unzählige Newcomer. Mit ihren vielfältigen Ideen im visuellen, räumlichen und sozialen Kontext begeistern sie für einen neuen Gestaltungstrend, der weit über Design an sich hinausgeht.

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