Quicksearch

Impressum

food.jpg

crEATe. Eating, Design and Future Food von Chris Sanderson, Martin Raymond, R. Klanten, S. Ehmann, S. Moreno, gestalten Verlag, 2008, gebunden, 216 Seiten, 44,–

Stärker als je zuvor ist Essen und Trinken zum prägenden Element der eigenen Identität geworden. Offensiv zur Schau getragen, lässt sich an den kulinarischen Gewohnheiten der westlichen Welt weit mehr ablesen als an der Wahl des Autos. Viel diffenzierter sind auch die Ausdrucksmöglichkeiten. Täglich steht man vor der Entscheidung, was man wo zu welchem Preis einkauft und wie man sich dadurch proaktiv einen lebenswerten Platz in der Konsumgesellschaft schafft oder einfach das Nachdenken darüber aus Überforderung ignoriert. Essenseinladungen werden heute oft zur Schau der kulinarischen Haltung, was man gut findet und wie man die Wertschätzung seinen Gästen gegenüber durch Essen und Trinken ausdrückt. Kochshows im Fernsehen boomen, junge Menschen kochen mit Begeisterung und die Medien sind voll von Tipps, aber auch kritischen Beiträgen über die Lebensmittelindustrie. Fairness kommt zur Sprache, bei jedem zweiten Bissen drückt das Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich auf den Magen. Durch die Globalisierung sind wir zwar in der Lage, jederzeit überall auf alles zurückzugreifen, doch macht das die meisten nicht mehr glücklich. Regionale Rückbesinnung und eine deutliche Slow Food-Bewegung werden immer stärker. All diese Strömungen und Aspekte werden erst durch Design sichtbar. Jede Gruppe hat ihre eigenen Codes, die über Verpackung und Produktauftritt, aber auch Restaurants etabliert werden.

All diesen Aspekten widmet sich dieses Buch systematisch und umfassend, keiner von ihnen wird isoliert betrachtet, sondern immer im großen Zusammenhang. Es ist die einzig zeitgemäße und adäquate Betrachtungsweise, die Design unserer Zeit gerecht wird, die aber viel zu selten praktiziert wird. Hier forscht die Londoner Agentur „The Future Laboratory“ systematisch und vorbildlich. Die Ergebnisse sind gründlich, aber oft spielerisch dokumentiert, ganz im Sinne von reflektiertem kulinarischen Genuss.

Schon im ersten Kapitel „Food Activists“ wird die politische Dimension klar. Massenproduktion, ökologische und soziale Dimensionen werden beispielhaft skizziert. Unter den Pionieren findet sich auch der österreichische Biotomatenbauer Erich Stekovics, der eine starke Gegenposition zur industriellen Massenproduktion geschmackloser Produkte mit über 3200 verschiedenen biologisch gezogenen Tomatensorten eindrucksvoll umgesetzt hat.
Gleich im nächsten Kapitel „Wholeharted“ wird die Sehnsucht nach dem Einfachen, dem Regionalen und Echten ausführlich beleuchtet. Die Box mit frischem Gemüse, die an die Haustüre geliefert wird, Kochen im Großmutterstil und pure Küche in radikal reduzierter Form werden hier gezeigt.
„Smart food“ beleuchtet bewusstes Essen - functional Food und die Motive, warum das neue Superessen boomt. Was man heute an seinen Körper lässt, bedarf gründlicher Voruntersuchung. Viele Konsumenten scheuen keinen Aufwand.
Reflektierter Umgang mit Essen hat zu einer neuen Fülle an Produkten geführt, die sich differenzieren wollen. Gerade deshalb kommt der Verpackung eine immer größere Bedeutung zu. Sie informiert, animiert und verspricht, was man zu finden glaubt. Nicht selten wird „Packaging“ zur Botschaft selbst, wie bei essbaren Tellern oder kompostierbarem Besteck. Die Beispiele sind vielfältig gewählt, unterschiedlichste Zugänge ausführlich erweitert und in bester Studioqualität fotografiert.
Die Kathedralen von heute sind die Restaurants. Sie sind ein Spiegelbild ihrer Gäste und lassen Identität deutlich werden. Dass gerade im Foodbereich die spannendsten Interiorlösungen zu finden sind, bestätigt das Kapitel „Food spaces“.
„Typologies“ – you are what you eat – zeigt unterschiedliche kulinarische Charaktere prototypisch auf. Hier stehen „Extreme Genießer“ oder „Ethische Esser“ den „Lehnstuhl-Erforschern“ gegenüber, alle über ihre sozialen Eigenheiten charakterisiert. Diese Kapitel mit seinen „Charakterköpfen“ bringt es auf den Punkt: Essen und Trinken ist pures Design und das kann nur durch einen umfassenden gesellschaftlichen Blick erforscht werden. Dieses Buch zeigt vor, wie man Gestaltung heute spannend untersuchen kann.


Erwin K. Bauer


< voriges Buch
nächstes Buch >